Die ärztliche Tätigkeit bringt nicht nur hohe Verantwortung, sondern auch rechtliche Risiken mit sich. Ob Behandlungsfehler oder Verstöße gegen Aufklärungspflichten. Haftungsfälle können schnell existenzbedrohende Folgen haben. Umso wichtiger ist es, die größten Haftungsrisiken zu kennen und präventive Maßnahmen zu ergreifen.
Im Folgenden stellen wir Ihnen drei der häufigsten Haftungsfallen vor, mit denen Ärzte[1] in der Praxis konfrontiert werden. Die vollständige Liste der zehn größten Haftungsrisiken sowie weiterführende rechtliche Beratung erhalten Sie direkt von Ihrem Rechtsexperten Rechtsanwalt Robert Gleitz, der Sie als spezialisierter Anwalt für die Leistungserbringer im Gesundheitswesen gerne unterstützt.
1. Haftung wegen eines Unfalls mit dem Privat-PKW auf dem Weg zu einem Hausbesuch
In zahlreichen Praxen ist es gängige Praxis, dass Mitarbeiter ihre privaten PKWs für Hausbesuche verwenden. Nur wenige sind sich jedoch bewusst, dass dies Risiken birgt.
Nutzen Arbeitnehmer ihre Privatfahrzeuge für berufliche Zwecke, werden diese wie Betriebseigentum behandelt. Dies gilt grundsätzlich nur für betrieblich veranlasste Fahrten, nicht für den Arbeitsweg. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber für Schäden haftet, die während betrieblicher Fahrten entstehen. Eine Ausnahme besteht lediglich bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Arbeitnehmers, was jedoch nur selten nachweisbar ist. Verursacht also ein angestellter Arzt einen Unfall, ohne grob fahrlässig zu handeln, muss der Arbeitgeber für den entstandenen Schaden aufkommen – im Fall eines Totalschadens sogar ein Ersatzfahrzeug finanzieren.[2]
Für den Arbeitgeber bestehen jedoch Möglichkeiten, sich abzusichern. Eine Variante besteht darin, ein vollkaskoversichertes Firmenfahrzeug bereitzustellen, das für Hausbesuche genutzt wird. Obwohl dies auf den ersten Blick kostspielig erscheint, wird dadurch das zuvor genannte Haftungsrisiko deutlich reduziert, da die Kfz-Versicherung des Betriebswagens auch Schäden abdeckt, die während betrieblicher Fahrten durch Arbeitnehmer verursacht werden.
Alternativ kann ein Haftungsausschluss im Arbeitsvertrag vereinbart werden, sofern der Arbeitnehmer eine Kilometerpauschale erhält.[3] Die Rechtsprechung ist sich jedoch weitgehend einig, dass diese Pauschale nicht nur die laufenden Kosten, sondern auch das allgemeine Risiko von Fahrzeugschäden abdecken muss.[4]
Die dritte Möglichkeit ist eine sogenannte Dienstreisekaskoversicherung. Diese wird vom Arbeitgeber abgeschlossen und deckt Schäden am privaten Fahrzeug des Arbeitnehmers ab, die während betrieblicher Fahrten entstehen.
2. Haftung der Praxisvertretung
Krankheit, Schwangerschaft oder Urlaub. Wenn Ärzte ihre Patienten vorübergehend nicht selbst betreuen können, übernimmt eine Praxisvertretung. Entscheidend ist dabei die Frage, wer im Falle eines Behandlungsfehlers des vertretenden Arztes haftet.
Die Haftung bei Fehlern einer Praxisvertretung hängt maßgeblich von der Art der Vertretung und den vertraglichen Vereinbarungen ab. Ist der vertretende Arzt als Angestellter in der Praxis tätig, haftet in der Regel der Praxisinhaber für dessen Fehler. Der Behandlungsvertrag wird zwischen Patient und Praxisinhaber geschlossen, wodurch Letzterer für Behandlungsfehler verantwortlich ist. Die Vertretung ist nur als sogenannter Erfüllungsgehilfe nach § 278 BGB tätig. Zusätzlich haftet der angestellte Arzt jedoch für eigene Behandlungsfehler aus unerlaubter Handlung persönlich.
Bei einer selbstständigen Vertretung, die auf eigene Rechnung arbeitet, haftet der vertretende Arzt grundsätzlich selbst für seine Fehler. Der Behandlungsvertrag wird in diesem Fall zwischen Patient und vertretenden Arzt geschlossen. Dies gilt insbesondere, wenn die Praxis während der Abwesenheit des Praxisinhabers schließt und eine andere Praxis die Versorgung der Patienten übernimmt. Dann haftet ausschließlich die vertretende Praxis für etwaige Behandlungsfehler
Bei Schadensersatzansprüchen wegen Behandlungsfehlern greift die Berufshaftpflichtversicherung. Vor dem Bestellen einer Vertretung sollten Ärzte ihren Versicherungsvertrag prüfen, um sicherzustellen, dass diese Tätigkeit mitversichert ist. Damit die Versicherung zahlt, sind weitere Voraussetzungen zu erfüllen: Die Auswahl der Vertretung muss eigenständig und mit Sorgfalt erfolgen. Dabei sollten fachliche und persönliche Qualifikationen überprüft sowie Approbations- und Facharzturkunden eingesehen und dokumentiert werden. Zudem ist sicherzustellen, dass die Vertretung über eine eigene Berufshaftpflichtversicherung verfügt. Zur Minimierung von Haftungsrisiken kann vertraglich festgelegt werden, dass die Vertretung für eigene Fehler haftet und der Praxisinhaber von Ansprüchen Dritter freigestellt wird.[5]
3. Regresswelle gegen Hausarztpraxen wegen Pneumokokkenimpfstoff Apexxnar?
In Westfalen-Lippe stellt sich derzeit eine neue haftungsrechtliche Frage für Ärzte, deren endgültige Klärung noch offen ist. Dort nimmt die AOK Nordwest etwa 300 Hausarztpraxen in den Fokus von Regressprüfungen. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Praxen den Pneumokokkenimpfstoff Apexxnar bereits vor der offiziellen Gültigkeit der Impfvereinbarung applizierten.[6]
Bereits im September 2023 hatte die Ständige Impfkommission (STIKO) den Einsatz des Pneumokokken-Impfstoffes Apexxnar befürwortet, dem auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) zustimmte. Infolgedessen begannen Praxen in Westfalen-Lippe, Apexxnar direkt über ein Kassenrezept für ihre gesetzlich versicherten Patienten zu bestellen und zu verabreichen.[7]
Das Problem dabei war, dass die Impfvereinbarung mit den Krankenkassen erst Mitte Januar 2024 in Kraft trat. Mittlerweile hat die AOK Nordwest, die die Kosten für den Sprechstundenbedarf aller Kassen in der Region abrechnet, nach eigenen Angaben rund 300 Praxen in Bezug auf einen möglichen Regress kontaktiert.[8]
Bereits jetzt spricht der Hausärztinnen- und Hausärzteverband Westfalen-Lippe von einer „groß angelegten Regresskampagne“.[9] Jedoch gibt der Verband in einem erst kürzlich veröffentlichten offenen Brief auch zu, dass die Rechtspositionen der AOK eindeutig sind. Fakt ist, dass die Impfvereinbarung erst ab dem 13.01.2024 gültig war. Somit war jede frühere Verschreibung des Impfstoffs auf ein Kassenrezept formal fehlerhaft, wodurch die Sozialgerichte aller Voraussicht nach zugunsten der AOK entscheiden würden. Die Rechtslage ist insofern also kaum strittig. Die entsprechenden Ärzte müssen sich auf Rückforderungen der Kasse einstellen.
Ob dies jedoch als gerecht empfunden werden kann, bleibt diskutabel. Denn schließlich wären die Patienten dreieinhalb Monate später sowieso auf Kosten ihrer Krankenkasse mit dem Impfstoff Apexxnar geimpft worden. So haben sie lediglich früher den benötigten Schutz erhalten, der womöglich auch noch einige kostspielige Krankenhauseinweisungen verhindert hat.
Der Vorstandsvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands Westfalen-Lippe Lars Rettstadt äußert im offenen Brief die Hoffnung, dass es noch zu einer zeitnahen Lösung des aktuellen Problems kommen wird.[10] Sonst könnte es für viele Praxen teuer werden.
4. Fazit
Die Haftungsrisiken für Ärzte sind vielfältig und können im schlimmsten Fall schwerwiegende rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen. Die hier vorgestellten drei Risiken sind nur ein Ausschnitt der möglichen Fallstricke im ärztlichen Alltag. Aber nur wer alle relevanten Haftungsrisiken kennt, kann sich effektiv davor schützen.
Gerne stehe ich Ihnen beratend zur Seite. Sprechen Sie mich an, um Ihre individuellen Fragen zu klären und rechtliche Sicherheit zu gewinnen.
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Robert Gleitz
[1] Das im weiteren Verlauf aus Gründen der Übersichtlichkeit gewählte generische Maskulinum bezieht sich im Folgenden selbstverständlich auf sämtliche Geschlechteridentitäten.
[2] so u. a. BAG, Urteil v. 08.05.1980 – 3 AZR 82/79; BAG, Urteil v. 28.10.2010 – 8 AZR 647/09; BAG, Urteil v. 22.06.2011 – 8 AZR 102/10; LAG Düsseldorf, Urteil v. 22.10.2014 – 12 Sa 617/14.
[3] BAG, Urteil v. 28. 10. 2010 − 8 AZR 647/09.
[4] BAG, NJW 1981, 702 Rn.13.
[5] Sebastian Ofer, Praxisvertretung: Wer haftet bei Fehlern?, am 09.08.2023, abrufbar unter: https://www.praktischarzt.de/magazin/praxisvertretung-fehlerhaftung/.
[6] Deutsches Ärzteblatt, Mögliche Regresswelle wegen Pneumokokkenimpfstoff Apexxnar in Westfalen-Lippe, 18.02.2025, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/news/mogliche-regresswelle-wegen-pneumokokkenimpfstoff-apexxnar-in-westfalen-lippe-114fa1e4-bf7a-47ac-b43d-f0bb2d08788f?utm_source=dlvr.it&utm_medium=linkedin.
[7] Deutsches Ärzteblatt, Mögliche Regresswelle wegen Pneumokokkenimpfstoff Apexxnar in Westfalen-Lippe, 18.02.2025, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/news/mogliche-regresswelle-wegen-pneumokokkenimpfstoff-apexxnar-in-westfalen-lippe-114fa1e4-bf7a-47ac-b43d-f0bb2d08788f?utm_source=dlvr.it&utm_medium=linkedin.
[8] Deutsches Ärzteblatt, Mögliche Regresswelle wegen Pneumokokkenimpfstoff Apexxnar in Westfalen-Lippe, 18.02.2025, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/news/mogliche-regresswelle-wegen-pneumokokkenimpfstoff-apexxnar-in-westfalen-lippe-114fa1e4-bf7a-47ac-b43d-f0bb2d08788f?utm_source=dlvr.it&utm_medium=linkedin.
[9] Offener Brief des Hausärztinnen- und Hausärzteverband Westfalen-Lippe vom 17.02.2025, abrufbar unter: https://www.linkedin.com/company/haus%C3%A4rzteverband-westfalen-lippe/posts/?feedView=all.
[10] Offener Brief des Hausärztinnen- und Hausärzteverband Westfalen-Lippe vom 17.02.2025, abrufbar unter: https://www.linkedin.com/company/haus%C3%A4rzteverband-westfalen-lippe/posts/?feedView=all.